Anlässlich der Ausstellung von Wallpaper* Handmade im April 2015 in Mailand nutzten Kolman Boye ihr Projekt „Rotunda Serotina“ (wörtlich: „Rundbau aus Amerikanischer Traubenkirsche“) in zweifacher Hinsicht: um die konstruktive Kraft der Wiederholung auszuloten und ein aus der Mode geratenes Holz zu rehabilitieren. Katie Treggiden traf sie bei der zweiten Auflage der „Rotunda“ anlässlich der Londoner Handwerksmesse Architect@Work, wo sie über Steine, Knochen und „es für die Kinder tun“ sprachen.
Die Gründer des Studios Kolman Boye Architects, Erik Kolman Janouch und Victor Boye Julebäk, sehen überall Wiederholungen, wo immer sie hingehen. – Wenn man durch London geht, oder Kopenhagen, immer sind es Städte aus Steinen, sagt Julebäk. Alles beginnt mit einem Stein, der dem Boden entnommen wurde, von Hand geformt, von Hand eingepasst – in diesen Städten mit Millionen Einwohnern ist alles aus dem gleichen Material gebaut.
Es geht nicht nur um Steine – sie sind fasziniert von allem, was sich wiederholt. – Wenn man eine einzelne Sache nimmt, bedeutet es den meisten Menschen nicht viel, sagt Janouch. Wenn man zehn Stück nimmt, ist es immer noch nichts. Wenn man etwas 100 Mal wiederholt, dann beginnt man eine Art Muster zu erkennen – es beginnt etwas zu werden. Wenn man es 1.000 Mal nachbildet, dann wird es zu etwas völlig Neuem und sehr Interessantem. In der Architektur ist das wichtig.
Der ursprüngliche Auftrag für die Rotunda Serotina beinhaltete den Entwurf eines „Süßwarenladen-Konzepts für das Angebot von Lebensmitteln.“ Der zylindrische Rundbau aus Holz bestand am Ende aus zwölf Wandelementen, die in Winkeln von jeweils 30 Grad zueinander aufgestellt waren und jeweils elf Regalborde aufwiesen auf denen 44 Holztabletts aus cherry (Kirsche) pro Wandelement standen. Die Besucher durften die Holztabletts als Souvenir mit nach Hause nehmen. Die Rotunda Serotina ist aus 4.620 Einzelteilen gefertigt, jedes sorgfältig von den britischen Möbeltischlern von Benchmark hergestellt und in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Arup zusammengebaut.
Die Vision hinter dem Werk stammt dagegen ausschließlich von Kolman Boye. Die beiden erwähnten als Quelle ihrer Inspiration für die Rotunde Fotografien von sich wiederholenden Typologien gewerblicher Gebäude, die von den Konzeptkünstlern Hilla and Bernhard “Bernd” Becher in Rastern angeordnet wurden; und ein Bild von 1936, das einen Kleiderladen in Kopenhagen zeigt, in dem 1.000 Mäntel hängen – Wallpaper* sandte uns Bilder von traditionellen Süßwarenläden, auf denen 100 identische Schubladen in einem Tresen zu sehen sind, sagt Janouch. Die ganze Idee stammt aus Kindheitserinnerungen, dieser Gedanke an eine dieser alten kegelförmigen Tüten voll Süßigkeiten. Also begannen wir mit der Nachbildung von solchen kegelförmigen Papiertüten, dann fertigten wir welche mit Furnier aus cherry (Kirsche), und am Ende wurden es massive Tabletts aus cherry (Kirsche).
Rotunda Serotina zelebriert die Wiederholung, die Arbeit mit einer begrenzten Werkstoffauswahl, und das minimalistische Konzept „weniger ist mehr“. – Wir haben so viele Eindrücke, die in der ganzen Welt jederzeit auf uns einprasseln, immer alles auf einmal. Deshalb ist es sehr interessant, mal mit dem genauen Gegenteil zu arbeiten; wo man so viel wegzunehmen versucht bis nur noch die Knochen übrig sind, sagt Janouch. Auch Wirtschaftlichkeitsüberlegungen haben eine Rolle gespielt: Wie können wir 4.620 Einzelteile aus cherry (Kirsche) so erschaffen, dass sie funktional, schön und einfach zu produzieren sind? Die Lösung dieser Aufgaben diktiert die Form.
Die vier Meter hohe Konstruktion wird dank traditioneller japanischer Schreinertechniken zusammengehalten, ohne Leim. Die einzige Ausnahme ist eine kleine Menge Kleber für die Leiter. Sie gewährt Zugang zu den Regalen und zu einem zentralen Ausgabeautomaten, der schmackhafte Snacks – leider keine Süßigkeiten – austeilt, die auf den 528 Holztabletts serviert werden sollen. – Die heutige Baukultur ist billig, also versuchen wir in eine andere Richtung zu arbeiten, sagt Julebäk. Wir wollen mit Handwerkskunst arbeiten; wir wollen mit unseren Händen arbeiten; wir wollen mit haptischen Erfahrungen arbeiten; wir wollen eine fast spirituelle Verbindung haben mit dem, was wir machen. Deshalb schauen wir oft in die Vergangenheit, um zu sehen, was gut war, was wieder genutzt werden kann, was vergessen wurde, was wir dazu tun können, so nachhaltig mit Technik wie mit Werkstoffen, Energie, Technologie, Wirtschaft und Kultur umzugehen – und das hat uns zu den japanischen Verbindungen mit quadratischen Holzstiften gebracht.
Der verwendete Werkstoff, amerikanisches Laubholz, ist von Natur aus nachhaltig, weil er so schnell nachwächst; und die Verwendung weniger gefragter Hölzer wie cherry (Kirsche) hilft dabei, Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht zu bringen – hat Nachhaltigkeit noch in anderer Hinsicht eine Rolle bei der Ausgestaltung des Entwurfs gespielt?
– VBJ: Wir haben darüber nachgedacht, was Dinge nachhaltig macht, und kamen zu dem Schluss, dass die erste Voraussetzung ist, dass die Menschen etwas mögen. Denn wenn sie etwas mögen, behandeln sie es pfleglich und dann hält es lange. Deshalb wollten wir etwas schaffen, was den Menschen gefällt und mit dem sie sorgfältig umgehen.
Sie sprachen darüber, das Konzept bis auf die „nackten Knochen“ zu reduzieren. Erzählen Sie uns mehr über den Gedanken von „Haut, Fleisch und Knochen“ hinter dem Konzept für die Rotunda Serotina.
– VBJ: Wir wollten etwas schaffen, dass sich in theatralischer Art und Weise verändert. So begannen wir, über den Theaterregisseur Robert Wilson zu sprechen. Er arbeitet nach der Prämisse von „Haut, Fleisch und Knochen“, also haben wir uns auch dazu entschieden. Der haltbarste Teil, die Grundstruktur, sollten unsere Knochen sein – inspiriert von den Kühltürmen der Fotografien von Hilla und Bernhard Becher. Als nächstes kam das Fleisch – wir brauchten einen Korpus, ein Gerippe, einen Raum, und wir fanden die Idee eines runden Versammlungsortes gut – eine Rotunde, das hat die Form bestimmt. Dann brauchten wir noch die Haut. Wir wollten, dass die Leute dem Korpus die Haut herunterreißen können; wenn sie die Tabletts mitnehmen, reißen sie also die Haut Stück für Stück ab und am Ende bleibt nur noch das leere Gerippe zurück.
Es gibt noch eine weitere, etwas weniger gruselige Analogie, um das gleiche zu beschreiben, stimmt´s?
– VBJ: Ja. Ich habe über Rhythmus in der Musik nachgedacht und wie unsere Konstruktion fast wie eine Partitur ist. Man braucht diesen Rhythmus, diese Struktur, sonst hat man nichts, um die Poesie, die Verse, die Melodie, das Lied zu transportieren... Wir haben die Struktur der Rotunda Serotina, und dann fügen wir Tabletts hinzu, und dann Menschen, und plötzlich haben wir die verschiedenen Noten, und dann ist es fast wie ein Lied von Brian Eno!
Wie haben die Menschen darauf reagiert? Hat es funktioniert wie gehofft?
– EKJ: Wir hatten fast eine Choreografie erstellt für den Abbau der einzelnen Tabletts, damit sie in einer bestimmten Reihenfolge weggenommen würden, statt dass alle auf Augenhöhe zuerst verschwinden. Aber eines Nachts kamen in Mailand plötzlich ganz viele Kinder und kletterten wie Äffchen überall auf der Rotunda herum, das war super. Die Ingenieure von Arup hatten die Statik berechnet, so dass sie dem Ansturm standhielt und nichts ging kaputt. Das war also ein schönes Erlebnis. Unsere ganze Choreografie war im Eimer, aber ich denke immer: Wenn die Kinder es mögen, dann sind wir gut.
Ist die Art der Interaktion mit der Umgebung anders in London als es in Mailand war? Der Ort ist ganz anders…
– VBJ: Ja, hier sind bestimmt keine Kinder darauf herumgeklettert! Sie steht hier sehr schön im Kontext dieses Viktorianischen Gebäudes; auch die Eisenkonstruktionen im Gebäudeinneren sind – ähnlich wie die Rotunda – aus vielen Einzelteilen gebaut und die Form des Raumes wiederholt die Form des Konstruktes. Es war ein schönes Erlebnis, in diesen fassförmigen Raum einzutreten und darin unser fassförmiges Konstrukt stehen zu sehen.
Victor, Sie unterrichten an der Royal Danish Academy of Fine Arts School of Architecture, und Sie, Erik, sind Chef einer kleinen Baufirma. Warum sind diese Querverbindungen zum Bau und zur Bildung wichtig für Ihr Architekturbüro?
– VBJ: Die Rolle der Architekten kann sehr eng gefasst sein – wir wollen verstehen, woher die Dinge kommen und auch im Rahmen akademischer Arbeit über sie mit Studenten diskutieren, aus gesellschaftlicher Sicht, aber auch aus technischer Sicht. Wenn man etwas schafft, das 100 Jahre stehen bleibt, dann sollte es auf breiter Basis ziemlich gut gemacht sein.
– EKJ: Wir lernen auch viel daraus, den Prozess bis zum Ende mitzuerleben. Wenn man einfach nur ein Projekt abgibt und jemand anderem das Bauen überlässt, dann weiß man nie, was passiert, bekommt keine Rückmeldung.
Wie war es, mit Benchmark zu arbeiten?
– EKJ: Das ist eine fantastische Werkstatt. Da arbeiten so viele talentierte Leute und stellen all diese tollen Sachen her. Wenn man dort sagt: „Oh, wäre das möglich?“ zieht sich irgendeiner in eine Ecke zurück und eine halbe Stunde später hat man eine Lösung. Sie haben sofort verstanden, was wir machen wollten, und wir wussten, was sie von uns brauchten. Deshalb war es eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit. Sie haben das ganze Konstrukt in nur vier Wochen gebaut.
– VBJ: Sie wissen so viel – das ist das Tolle daran, wenn man mit wirklich guten Handwerkern arbeitet. In vielen Bereichen würden andere Architekten so etwas über eine Designberatungsfirma abwickeln, aber genau davon wollen wir weg. Wir sagen nicht, dass wir selbst machen könnten, was die Handwerker tun; aber wir verstehen ihre Arbeit, wir haben eine bessere Kommunikation und wir erreichen so die besten Ergebnisse.
Wie war es, mit cherry (Kirschholz) zu arbeiten? Hatten sie es früher schon mal verwendet?
– EKJ: Nein, und es hat einen schlechten Ruf, weil es in der Vergangenheit so falsch verwendet wurde – diese rot gebeizten Sachen, die man in den 1970ern überall sah. Wir haben versucht, etwas vollständig anderes zu machen.
– VBJ: Ursprünglich wollten wir das Holz völlig unbehandelt lassen, aber aus Lebensmittelsicherheitsgründen musste es geölt werden. Wir haben verschiedenste Öle mit Pigmentierung ausprobiert und haben sogar versucht, es zu beizen; aber am Ende haben wir eine Oberflächenbehandlung gewählt, die die natürliche, zartrosa Färbung erhält.
Würden Sie wieder damit arbeiten? War es eine Erfahrung, die man gerne wiederholt?
– EKJ: Auf jeden Fall. Immer, wenn man etwas erforscht, dann faszinieren einen all die neuen Möglichkeiten, die sich eröffnen. Genauso ist es, wenn man sich auf einen einzigen Werkstoff beschränkt. Wenn man sich erstmal richtig eingehend damit beschäftigt, ihn wirklich sieht, sich einfühlt, ihn lebt und atmet, dann erkennt man plötzlich all die Möglichkeiten, die er bietet. Das ist sehr spannend.
“Wenn man sich erstmal richtig in einen Werkstoff einfühlt, ihn lebt und atmet, dann erkennt man plötzlich all die Möglichkeiten. Das ist sehr spannend.”
“Wir wollen mit Handwerkskunst arbeiten; wir wollen mit unseren Händen arbeiten; wir wollen mit haptischen Erfahrungen arbeiten; wir wollen eine fast spirituelle Verbindung haben mit dem, was wir machen.”
“Wie können wir 4.620 Einzelteile aus cherry (Kirsche) so erschaffen, dass sie funktional, schön und einfach zu produzieren sind?”
“Plötzlich kamen ganz viele Kinder und kletterten wie Äffchen überall auf der Rotunda herum, das war fantastisch.”